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Honeckers Jagdhütte. Unter dem Titel „Wildfang“ 2016 aufgenommen von Andreas Mühe.

© Andreas Mühe

„Schade, Mühe“ in Potsdam: Die düstere Seite deutscher Realität

Andreas Mühe gehört zu den namhaftesten deutschen Fotografen unserer Zeit. Jetzt stellt er im Kunstraum Potsdam aus: gemeinsam mit dem Maler Titus Schade.

Manchmal ist der Zufall der beste Kurator. Im Kunstraum Potsdam war für diesen Herbst eine Ausstellung zu Alice Bahra geplant, doch die musste krankheitsbedingt verschoben werden. Also rief Kunstraum-Leiter Mike Gessner den Leipziger Neo-Rauch-Exegeten Titus Schade an, mit dem er seit Langem schon eine Ausstellung plant. Ob Schade denn nicht schon früher wolle? Schade wollte: gemeinsam mit einem Künstler, mit dem er lange befreundet ist, aber noch nie ausgestellt hat. Sein Name: Andreas Mühe.

So kommt es, dass jetzt auf dem Plakat vor dem Kunstraum Potsdam ganz nüchtern eine kleine Sensation steht: „Schade, Mühe“. Ein Zusammenspiel, das es so noch nicht gab, und auf das Gessner zurecht ein bisschen stolz ist. Dass sich Künstler dieses Formats so holterdiepolter im Kunstraum einfinden: keine Selbstverständlichkeit. Schade, geboren 1984 in Leipzig, gehört zu den vehementen Vertretern des magischen Realismus, ein Meisterschüler Rauchs. Er ist in den letzten Jahren vielfach ausgestellt worden, jüngst mit einer Personalausstellung in der Berliner Galerie eigen+art.

Titus Schade: „Drei Fachwerkhäuser“, 2011.
Titus Schade: „Drei Fachwerkhäuser“, 2011.

© Uwe Walter

Paris, Peking, und jetzt Potsdam

Andreas Mühe, geboren 1979 im damaligen Karl-Marx-Stadt, gehört zu den deutschen Fotografen mit internationalem Renommee. Er hat Helmut Kohl fotografiert und Angela Merkel, auch Hitlers Rückzugsort Obersalzberg. Und seine „Mischpoche“, die eigene Familie: den Schauspieler Ulrich Mühe, seine Stiefmütter Susanne Lothar und Jenny Gröllmann, seine Halbschwester Anna Maria Mühe. Er stellt im Frankfurter Städelmuseum aus, in Paris, in Peking. Und jetzt also Potsdam.

Wer im Kunstraum die Arbeiten von Schade und Mühe nebeneinander hängen sieht, wundert sich tatsächlich, warum niemand zuvor auf die Idee gekommen ist, die beiden in einen Kontext zu setzen. Auch wenn der eine fotografisch arbeitet, der andere in Öl und Acryl: die Themen, den Gestus haben sie gemeinsam. Was sie teilen, ist ein kühler Blick auf Orte und Landschaften, in denen der Mensch meistens nur indirekt vorkommt. Als jemand, der seine Spuren hinterlassen, das Blickfeld aber gerade verlassen hat.

Parallelen. Bei Andreas Mühe sehen die Bonzen-Häuser in Wandlitz (hinten) aus wie das Setzkastenprinzip von Titus Schade (rechts). Links Schades „Amt“.
Parallelen. Bei Andreas Mühe sehen die Bonzen-Häuser in Wandlitz (hinten) aus wie das Setzkastenprinzip von Titus Schade (rechts). Links Schades „Amt“.

© Andreas Klaer

Die piefigen Häuser der DDR-Elite

Es sind artifizielle, scharfkantige, teilweise albtraumhafte Welten, die man hier betritt. Ihr Material: die düstere Seite deutscher Realität. Dass das Dunkle, vielleicht auch Böse manchmal sehr banal sein kann, zeigen die großformatigen Fotografien der „Wandlitz“-Serie gleich neben dem Eingang: 2011 hielt Mühe die Wohnhäuser fest, in denen bis 1989 die DDR-Elite wohnte. Keine Paläste, sondern piefige Häuschen mit Spitzdach und winziger Terrasse. Aufgenommen nachts, in grellem, künstlichem Theaterlicht. Die hohen Bäume vor Honeckers Haus durchschneiden das Bild wie Gitterstäbe.

Honeckers Jagdhaus sieht aus wie ein Hexenhaus aus Pappe, die Wandlitz-Häuser hängen aufgereiht wie im Setzkasten. Das Pendant in Öl von Titus Schade findet sich unweit davon: „Das Regal“ von 2011 versammelt kleine Häuschen aus Fachwerk und in Fünfziger-Jahre-Architektur wie Spielzeuge in einem monumentalen Setzkasten. Die unteren Fächer sind leer - oder ihr Inhalt in Schubladen verborgen. Je länger man sie ansieht, desto größer wird die Furcht, was sich da unten im Schatten wohl verbergen mag.

Das eigentliche Grauen liegt jenseits des Gezeigten

Beide, Müde und Schade, arbeiten mit hartem Licht - und mit der Ahnung, dass das eigentliche Grauen jenseits des Gezeigten liegt. In Serien wie „Obersalzberg“ hat sich Mühe mit deutscher Vergangenheit beschäftigt, zeigt Hitlers Ferienparadies in erschreckender Klarheit. Mit den als Triptychon gehängten Fotografien aus dem Zyklus „Deutscher Wald“ von 2016 stürzt er die Betrachter:innen mitten in das Schwarz einen Waldes, aus dem Blickwinkel einer Schießscharte. Auf einer Lichtung zu sehen, wie Freiwild im Wald: eine Gruppe Geflüchteter.

Um deutsches Gestrüpp anderer Art geht es in Schades Bild „Das Amt“ von 2013. Das „Amt“ ist ein wehrhafter Turm, ohne Fenster, ohne Tür, überragt bedrohlich eine sterile Reihe von Fachwerkhäusern. In der Ferne düstere Wolken wie von Explosionen. Im Vordergrund kleine Feuerstellen, an denen sich niemand wärmt.

„Schade, Mühe“, bis 23. Dezember im Kunstraum Potsdam, Schiffbauergasse

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